Lernen am Ort des Grauens - Exkursion zum ehemaligen KZ Buchenwald
In Träumen gejagt und verfolgt zu werden – das war die Erwartung eines 12.-Klässlers, der an der Exkursion der beiden vierstündigen Geschichtskurse zum ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald teilnahm (vom 25.-28.Oktober). Das war nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn müde, wie wir waren, gingen wir früh schlafen – und unsere (heute komplett renovierte) Jugendherberge war einst eine Kaserne der SS-Wachmannschaften gewesen; derselben Männer, die während der nationalsozialistischen Herrschaft und Verfolgung Zehntausende der sich in ihrer Gewalt befindlichen Menschen in den Tod geschickt hatten. Unser Betreuer berichtete: Im Juli 1937 waren die ersten politischen Häftlinge in den Wald bei Weimar gebracht worden, um unter Anleitung der SS und bei einem Viertelliter Wasser pro Tag und Person diese Gebäude und dann ihr eigenes Gefängnis zu errichten; später wurden Juden, Zeugen Jehovas, Homosexuelle und vor allem sowjetische Kriegsgefangene hierher getrieben, zuweilen unter dem Gejohle der SS-Männer, die sich immer wieder Demütigungen und Schandtaten für Neuankömmlinge einfallen ließen.
Besonders denkwürdig war unsere Führung über das Lagergelände: Wir schritten durch das Eingangstor, das von innen lesbar die zynische Inschrift „Jedem das Seine“ trägt; wir traten auf den gewaltigen Appellplatz, wo täglich Tausende antreten mussten; wir begingen das Fundament einer Baracke, in die Menschen geradezu hineingepfercht und übereinander gestapelt wurden. Auch die einzelnen Schicksale kamen zur Sprache: Entweder man wurde rücksichtlos für die Rüstungsindustrie ausgebeutet, für medizinische Zwecke missbraucht oder einem dahinsiechenden Dasein überlassen. Entsprechend vielfältig waren auch NS-Bestrafungs- und Tötungsregularien. Die Leichen landeten – wenn überhaupt – im „Krematorium“, technisch eher eine Müllverbrennungsanlage, was bezeichnend ist für das Menschenbild der Täter. Geradezu pervers wirkte auf uns im Kontrast dazu der fast direkt daran angrenzende SS-Zoo, der zur Unterhaltung der SS und deren Familien diente, die offenbar direkt durch den Zaun ins Lager sehen konnten - vermutlich ohne jede Scham. Genauso gut sichtbar war für die umliegende Bevölkerung der Arbeitseinsatz der Häftlinge im Straßenbau und Steinbruch. Nach der Befreiung des Lagers im April 1945 konfrontierten die Amerikaner etwa 1.000 Weimarer Bürger mit den Leichenbergen im KZ; die Mehrheit dieser Bürger behauptete aber, nichts oder zumindest nichts Näheres von den Vorgängen im Lager gewusst zu haben. Viele von ihnen empörten sich hingegen über die Rohheit – und zwar der Amerikaner, die ihnen diesen Anblick zugemutet hätten.
Die Verantwortung für das Geschehen ist damals genauso wenig verschwunden wie heute. Heute aber geht es nicht um die Frage der Schuld, sondern darum, dass wir solche Verbrechen in der Zukunft nie mehr zulassen dürfen. Ein Ort des Gedenkens ist das ehemalige KZ Buchenwald geworden und wird hoffentlich diesen Zweck auch für weitere Schülerinnen und Schüler erfüllen. Besonders berührt haben mich persönlich die vielsprachigen Gedenktafeln, die von Angehörigen nach dem Krieg hierher gebracht wurden und an den letzten Aufenthaltsort ihrer Freunde und Verwandten erinnern. An dieser Stelle danke ich auch für die hervorragende pädagogische Begleitung unserer Exkursion durch unsere Betreuer vor Ort und die Geschichtslehrer Herr Wagner und Herr Brenneis. Wir konnten hier unser Bewusstsein für das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte schärfen, sind aber nicht untergegangen in verstörenden Eindrücken oder schlechten Träumen, sondern hatten ein vielseitiges Programm und durften in der freien Zeit am Abend auch die kulturell bedeutende Stadt Weimar kennenlernen.
Henri Mockler